
Interview mit dem damaligen Oberbank-Generaldirektor Hermann Bell über seine Bedenken bei der voestalpine-Privatisierung.
Als im Frühjahr 2000 die österreichische Regierung die 100-%-ige Privatisierung wesentlicher Industriebeteiligungen des Staates ankündigte, ahnte der damalige Oberbank-Generaldirektor Hermann Bell, dass diese auch erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die voestalpine haben könnte. Also griff Hermann Bell zum Telefon …
Sie haben damals umgehend voestalpine-Generaldirektor Peter Strahammer kontaktiert. Welche Gefahr haben Sie gesehen?
Hermann Bell: Aufgrund der Erfahrungen, die wir bei der Privatisierung der CreditAnstalt (CA) im Jahr 1997 machen mussten, habe ich befürchtet, dass auch die voestalpine – wenn der Staat seine Beteiligung verkauft – in die Hände eines ausländischen Großkonzerns gerät. Die voestalpine ist immerhin der größte Leitbetrieb Oberösterreichs und sehr wichtig für die Entwicklung der Wirtschaft unseres Landes. Und an einer blühenden Wirtschaft in Oberösterreich war ich natürlich sehr interessiert, weil eine Regionalbank nur dann erfolgreich sein kann, wenn auch die Wirtschaft der Region boomt.
Eine Befürchtung, die sich dann 2003 – Stichwort Minerva – beinahe bewahrheitet hätte. Wieso haben Sie bereits 2000 geahnt, dass eine selbständige voestalpine mehr erreichen können würde, als unter der Ägide eines mächtigen internationalen Konzerns?
HB: In meiner langjährigen Tätigkeit als Aufsichtsrat der voestalpine habe ich Peter Strahammer sehr gut kennengelernt, aber auch den damals noch sehr jungen Wolfgang Eder, ebenso wie die anderen Herren der ersten Führungsebene, die Techniker und die Mitarbeiter. Und ich war überzeugt, dass die mit ihren Fähigkeiten ein Unternehmen hervorragend leiten können und mehr erreichen würden, als wenn sie zu Befehlsempfängern geworden wären. Außerdem bin ich überzeugt, dass die Unabhängigkeit und die Selbstständigkeit eines Unternehmens sowohl Manager als auch Mitarbeiter beflügeln und zu besonderen Leistungen anspornen.
2007 hat der Aktienkurs der voestalpine ein Allzeithoch erreicht. Die Oberbank hat aber nicht verkauft, sondern im Laufe der Jahre ihren Anteil sogar erhöht. War es für Sie nicht interessant mit der voestalpine-Aktie schnelles Geld zu machen?
HB: Der innere Wert der voestalpine war immer höher als der Börsenkurs. Ich habe daher gewusst, dass eine langfristige Beteiligung an der voestalpine ein sehr gutes Investment ist und man damit Anteil an der Entwicklung und am Erfolg eines guten Unternehmens hat. Aber mit der Beteiligung wollte ich auch gar nicht in erster Linie Gewinne machen. Die Oberbank hat es ja nicht notwendig, einen einmaligen Kursgewinn zu erzielen. Die Absicht war eben, ein starkes Unternehmen für eine starke Wirtschaft unseres Landes zu erhalten. Ich hoffte deshalb, dass auch andere Finanzinstitute Anteile an der voestalpine kaufen würden und zusammen mit der Mitarbeiterbeteiligung eine Kernaktionärsgruppe bilden, die langfristig verhindert, dass die voestalpine die Selbstständigkeit verliert. Das ist zum Glück gelungen – und darauf bin ich sehr stolz.

Vor zwei Jahrzehnten begann die voestalpine AG den Weg eines privatisierten, börsennotierten Unternehmens zu beschreiten. Die Serie „IPO 1995 – 20 Jahre an der Börse“ beschreibt markante Stationen auf dem Weg zum international erfolgreichen stahlbasierten Technologie- und Industriegüterkonzern.
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