Was Sie schon immer über die Formel E wissen wollten 10 Minuten Lesezeit
Formel E

Was Sie schon immer über die Formel E wissen wollten

Gerald Enzinger
10 Jahre Chefredakteur der SportWoche und seit 20 Jahren als Journalist auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Österreich u.a. für die Autorevue, www.motorprofis.at und die Kleine Zeitung.

Die ABB FIA Formula E Meisterschaft interessiert und begeistert mehr Fans denn je. Die spannenden Rennen der fünften Saison waren Werbung pur für den modernsten Motorsport der Welt, und damit auch für die voestalpine European Races. Vor allem gelingt es dieser Meisterschaft auch, viele Fans für sich zu gewinnen, die sich bislang nicht so für den Rennsport interessiert haben. Daher für alle Einsteiger einige Antworten auf die brennendsten „FAQs“ zur Formel E.

Was ist die Formel E?

Die ABB FIA Formel E Meisterschaft beruht auf einer Idee des spanischen Geschäftsmanns Alejandro Agag. Er war früher in der Formel 1 unter anderem im Bereich Sponsorenakquise tätig und hatte es mit einem Kunden zu tun, der der Meinung war, dass man aus ökologischen Gründen und aus Gründen des Lärmschutzes nicht mehr in der Formel 1 werben möchte, da das nicht zum Image des Konzerns passe. Dadurch reifte bei Agag der Gedanke, eine Rennserie zu etablieren, die hohen Wert auf zukunftsträchtige alternative Antriebe und Nachhaltigkeit legt. Einige Jahre später überzeugte er Jean Todt, den Präsidenten des Internationalen Automobilverbands FIA, von der Idee, und am 13. September 2014 wurde in Peking das erste Rennen dieser neuen Meisterschaft ausgetragen.

Was ist die Vision der Formel E? Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit?

Die Formel E ist die weltweit erste vollelektrische internationale Einsitzer-Rennserie im Motorsport und bietet eine Plattform, um straßenrelevante Technologien im Wettbewerb zu erproben und zu entwickeln und das Design und die Funktionalität von Komponenten für Elektrofahrzeuge zu verbessern. Und sie dient als Katalysator für die Entwicklung und Nutzung nachhaltiger Mobilitätslösungen in aller Welt. Die Formel E glaubt daran, dass Elektrofahrzeuge die Zukunft sind und Lösungen für den nachhaltigen Transport und die Bekämpfung des Klimawandels bieten können.

Das Konzept der Nachhaltigkeit für die Formel E besteht darin, den CO2-Fußabdruck so weit wie möglich zu verringern und positive Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu erzielen. Dies wird in allen Bereichen gelebt:

  • Energie: Die Formel-E-Autos werden mit Strom aus den revolutionären Formel-E-Glycerin-Generatoren betrieben, die nahezu emissionsfrei und mit zu 100 % erneuerbaren Kraftstoffen arbeiten.
  • Reifen: Die einzigartigen Reifen sind Hybride, die speziell von Michelin entwickelt wurden, für alle Wetterbedingungen geeignet sind, das gesamte Rennen über halten und am Ende des Tages recycelt werden.
  • Strecken: Die Formel E ist die Stadtstraßenrennserie, die auf temporären Strecken im Herzen der größten Städte der Welt wie Rom, Paris, Berlin und NYC ausgetragen wird.
  • Zuschauer: Die Formel E bringt die Fans in die Innenstadt, um die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern. Deshalb gibt es bei Formel-E-Rennen auch keine Parkplätze für die Zuschauer. Rennen können auch online live und in 360° verfolgt werden.

Was genau ist ein Formel-Auto?

Eine einheitliche Definition, was ein Formel-Auto ausmacht, gibt es nicht. Als Formel-Autos werden in der Regel Rennwagen mit frei stehenden Rädern und mit nur einem Sitz bezeichnet.

Wie definiert man einen Formel-E-Rennwagen?

Das Formel-E-Auto ist ein „Monoposto“, aber kein „Open-Wheeler“ mit völlig frei stehenden Rädern. Die 18-Zöller sind zum Teil abgedeckt. Allerdings sind die Aufhängungsstreben weiterhin sichtbar, was das Formel-E-Auto doch als Formel-Auto qualifiziert.

Was ist das zentrale Merkmal der Formel E?

Gen 2 Car

Der Formel-E-Rennbolide „Gen2“

Die Formel E setzt auf ein Einheitschassis, das alle Teams einsetzen müssen. Mit dem Start in die Saison 2018/19 löste der „FE18 Spark Racing Technology“, besser bekannt unter dem Namen „Gen2“, den in den ersten vier Jahren eingesetzten „Sport SRT_01E“ ab. Nachdem die Autos der Formel E im ersten Jahr auch mit identischen Antriebssträngen auf die Strecke gingen, ist seit dem zweiten Meisterschaftsjahr die Eigenentwicklung an E-Motor, Inverter, Getriebe, Hinterradaufhängung und Software für eingeschriebene Hersteller erlaubt. Mittlerweile werden neun verschiedene Antriebssysteme produziert, nur drei Privatteams kaufen ihren Antrieb bei Konkurrenzteams ein. Mit Porsche und Mercedes sind heuer zwei weitere deutsche Premiumhersteller mit dabei. Dadurch ist es zum ersten Mal in der Geschichte des Motorsports der Fall, dass alle vier großen deutschen Marken (Audi, BMW, Mercedes und Porsche) zeitgleich und werksseitig in einer Rennserie engagiert sind und gegeneinander fahren. Insgesamt sind zwölf Teams mit 24 Autos bzw. Fahrern am Start. Damit ist die maximale Teilnehmerzahl erreicht.

Ist auch die Batterie ein Einheitsbauteil?

Ja! Die Batterie ist ein Einheitsbauteil, das einer Kooperation zwischen McLaren Applied Technologies, Sony und Lucid Motors entstammt. Das Aggregat speichert insgesamt 54 kWh Energie, von denen den Fahrern im Rennen 52 kWh zur Verfügung stehen (analog zu 28 kWh nutzbarer Energie in der Einheitsbatterie von Williams Advanced Engineering, die in den ersten vier Saisonen zum Einsatz kam).

Was sind die größten Unterschiede zwischen Formel E und Formel 1?

Der Hauptunterschied ist naturgemäß der Antriebsstrang. Die Formel 1 verwendet Sechszylinder-Hybridmotoren, die Formel E ausschließlich elektrische Antriebe. Formel-1-Autos haben wesentlich höhere Spitzengeschwindigkeiten und schnellere Kurvengeschwindigkeiten. In Sachen Beschleunigung sind sich die beiden Boliden bereits ebenbürtig. Aus dem Stand erreichen sie Tempo 100 in nur 2,8 Sekunden. Es gibt aber einen gravierenden Unterschied: Formel-1-Teams bauen ihre Autos selbst, in der Formel E werden die Rennwagen als Einheitsautos produziert und zur Verfügung gestellt. Das garantiert eine wesentlich größere Chancengleichheit in der Formel E. Beweis: In den sieben ersten E-Prix der vergangenen Saison siegten sieben unterschiedliche Teams.

Wer fährt bei einem Formel-E-Rennen eigentlich von vorne los – und wieso?

Rundstrecken-Autorennen funktionieren so: Alle Autos starten gleichzeitig und absolvieren eine bestimmte Anzahl an Runden auf einer geschlossenen Rennstrecke, bei der Start und Ziel durch ein und dieselbe Linie markiert werden. Da die Autos meist leicht versetzt in Zweierreihen starten, ist es gerade auf einem engen Stadtkurs ein großer Vorteil, möglichst weit vorne wegfahren zu dürfen. Daher muss man sich in einem eigenen Format, dem Qualifikationstraining, in dem die Zeit auf einer einzigen Runde gestoppt wird, als möglichst schnell beweisen. Der Schnellste des Qualifyings darf in der Regel an vorderster Position wegfahren, der zweite einige Meter dahinter auf der anderen Seite des Asphaltbands. In der Formel E ist das übliche Qualifikationsformat etwas modifiziert. Zuerst werden die Piloten in verschiedene Qualifying-Gruppen unterteilt und fahren nach einer fix definierten Startreihenfolge das Qualifikationstraining. Sie haben sechs Minuten Zeit. Die schnellsten sechs Fahrer bestreiten am Ende die sogenannte Superpole, in der dann die Startplätze 1 bis 6 extra ausgefahren werden. Die Zeit aus dem ersten Training wird dabei nicht mitgenommen. Der Schnellste dieser Einheit steht dann im Rennen auf der Julius-Bär-Pole-Position; zudem bekommt er drei Punkte für die Meisterschaft gutgeschrieben. Mit der Saison 2019/20, der Season 6, gibt es auch je einen Punkt für den schnellsten jeder Qualifikationsgruppe.

Wie lange dauert ein Rennen?

Das Rennen geht über 45 Minuten, und wenn der Führende dann Start und Ziel überquert, wird noch eine Runde gefahren. Dieses System machte es bislang für Strategen besonders herausfordernd. Da niemand genau vorhersagen kann, wie viele Runden insgesamt absolviert werden, muss das Energiemanagement besonders genau berechnet und den Bedingungen und Ereignissen im Rennen (Regen, Safety-Car-Phasen usw.) angepasst werden. Zwei Änderungen im Reglement dürften allerdings einen beträchtlichen Einfluss haben: Ab sofort wird jedem Rennwagen während einer Unterbrechungsphase eine Kilowattstunde pro Minute von der insgesamt zur Verfügung stehenden Energie abgezogen. Dadurch sollen „Vollgas-Rennen“ unterbunden werden. In der vergangenen Saison, der ersten mit den Gen2-Autos, kam es zu vielen Safety-Car- und Rotphasen, nach denen das Energiemanagement kaum noch eine Rolle spielte und entsprechend wenig rekuperiert wurde. Außerdem wird die Renndauer im Fall einer Unterbrechung angehalten, sofern der Renndirektor nicht anders entscheidet. Damit soll künftig die geplante Renndistanz möglichst genau erreicht werden.

Gibt es Boxenstopps?

Formel E

In den ersten vier Saisonen war es nötig, das Fahrzeug zu wechseln, da die Akkus der Antriebe damals noch nicht genug Energie für eine ganze Renndistanz speichern konnten. Seit der letzten Saison ist das möglich, daher ist es das Ziel eines jeden Piloten, ohne Boxenstopp durchzufahren. Wenn aber aufgrund eines technischen Defekts eine Reparatur vorgenommen werden muss, kann man mit dem Auto in eine eigens eingerichtete Nebenfahrbahn, die Box, einfahren und dort kleine Reparaturen vornehmen lassen. In der Regel kommt das in der Formel E aber kaum vor – im Gegensatz zu anderen Rennserien.

Wie verläuft ein Formel E Rennen? Welche speziellen Regelungen gibt es?

In den Rennen der ABB FIA Formel E Meisterschaft gibt es einige sehr innovativen Module, die die Renn-Action erhöhen und gerade auf die videospielaffine junge Generation sehr vertraut wirken. So etwa den FANBOOST. Dabei können Fans ab sechs Tagen vor dem Rennen und bis 15 Minuten vor dem Start ihren Lieblingsfahrer wählen. Die fünf Fahrer, die sich für den begehrten – von den Fans verliehenen – FANBOOST qualifizieren, erhalten einen beachtlichen Energieschub, den sie in der zweiten Hälfte des Rennens in einem 5-Sekunden-Fenster einsetzen können. Etwa um ein wichtiges Überholmanöver zu versuchen. Zudem gibt es seit 2018 einen Attack-Modus. Um den Angriffsmodus zu starten, müssen die Fahrer ihren Rennwagen laden, die Ideallinie verlassen und die Aktivierungszone durchfahren. Nur hier können sie zusätzliche 35 kW Leistung sammeln. In der ersten Saison mit dem Attack-Modus waren es noch 25 Zusatz-kW gewesen. Fahrer, die sich die zusätzliche Energie – also in weiterer Folge Geschwindigkeit – sichern, können sie ein paar Runden lang dafür verwenden, offensiver zu fahren. So können sie das eine oder andere vor ihnen liegende Auto einfacher überholen. Die Zuschauer erkennen Rennwagen, die gerade im Attack-Modus sind, daran, dass das Halo-System (also der Sicherheitsbügel über dem Cockpit) leuchtet.

Was ist das besondere für Fans? Was passiert bei einem Rennwochenende alles?

E-Village

E-Village mit Festivalcharakter

Für die Fans ist es einzigartig, dass sie durch den FANBOOST direkt ins Renngeschehen eingreifen können. Der Event selbst ist sehr auf die Bedürfnisse der Zuschauer abgestimmt: Die Rennstrecken sind meistens mitten in einer Stadt und leicht erreichbar und rund um das Rennen gibt es zahlreiche Attraktionen und Aktionen für die ganze Familie, bei denen vor allem die Themen E-Mobilität und Zukunftstechnologien präsentiert werden. Zudem ist der Kontakt zu den Fahrern sehr eng – von Autogrammstunden bis hin zum E-Race gibt es zahlreiche Termine, in die die Stars direkt eingebunden sind.

 

Sind die Rennfahrer Profis und was haben sie vor Erfindung der Formel E gemacht?

Formular E Fahrer & Fahrerin

Die Piloten der Formel E zählen zu den besten der Welt. Sie haben sich von klein auf im Kart bewegt und waren Jahr für Jahr meistens unter den weltweit besten ihrer Generation. Nur in der Formel 1 sind zum Teil noch bessere Rennfahrer am Start. Im Gegensatz zu dieser kann man sich in die Formel E aber nicht „einkaufen“, das heißt, alle 24 Fahrer wurden ausschließlich nach sportlichen Leistungskriterien ausgewählt. Die Qualität ist daher de facto einzigartig. Alle Fahrer sind Vollprofis und kommen zum Teil aus der Formel 1. Einige fahren, wenn es die Zeit zulässt, noch in einer anderen Serie – meistens in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC (z. B. 24 Stunden von Le Mans) oder in der DTM, den Deutschen Tourenwagen Masters.

Was kann ein Rennfahrer tun, das er schneller ist als die anderen?

Zum einen kann das Team in der Vorbereitung den Unterschied ausmachen. Obwohl die Autos Einheitsautos sind, verwenden die Teams ihre eigenen Antriebe bzw. Antriebe von anderen Herstellern. Auch in Sachen Set-up kann viel unterschiedlich gemacht werden. Der Fahrer wiederum ist gefordert, sich am Simulator besonders gut auf die jeweilige Strecke vorzubereiten. Im Rennen selbst sind die Linienführung, das Verhalten in Zweikämpfen, das Gespür für die Entwicklung von Situationen bzw. die Entwicklung der Rennstrecke und der Reifen absolute Unterscheidungsmerkmale unter den Fahrern. Besonders wichtig ist auch das Energiemanagement. Die Art, wie man bremst, lenkt und beschleunigt, und wo genau man das macht, sind mitverantwortlich für die Geschwindigkeit, aber auch für den Energieverbrauch. Ziel ist es, mit möglichst wenig Energieaufwand so schnell wie möglich zu fahren.

Warum fährt die Formel E nicht auf richtigen Rennstrecken so wie die anderen Rennserien?

E-Prix Paris

E-Prix Paris im Herzen der Stadt

Historisch hat das damit zu tun, dass es vor allem am Anfang schwierig war, ein Rennauto für die Rennstrecke zu machen – denn man braucht viele enge Kurven, vor denen viel und stark gebremst wird, um beim Bremsen möglichst viel Energie zu gewinnen. Auf einer Rennstrecke mit schnellen Kurven ist das kaum der Fall. Doch Seriengründer Alejandro Agag erkannte schon früh, dass der ideale Ort für ein Formel-E-Rennen ohnehin die Stadt ist. Einerseits weil man auf engen, winkeligen Kursen gut Energie aufnimmt, zum anderen weil es das Konzept der Formel E ist, mitten in der Stadt zu fahren statt auf Rennstrecken, die oft irgendwo auf dem Land sind. Da E-Autos vor allem in der Stadt großes Potenzial haben und die Städte diese Entwicklung fördern, passen Rennen einfach optimal in die Metropolen. Mit 14 Läufen gibt es in der sechsten Saison die bislang höchste Anzahl an E-Prix-Rennen. Drei Strecken sind neu im Kalender: Seoul, Jakarta und ein Parcours am Hafen von London, wo die Saison mit zwei Rennen an einem Wochenende zu Ende gehen wird. London war zwar bereits Austragungsort von Läufen zur ABB FIA Formel E Meisterschaft, damals wurde aber noch im Battersea Park gefahren.

Ist auch schon mal eine Frau ein Rennen gefahren?

Frauen-Bewegung Formel E

Susie Wolff als erfolgreiche Teamchefin

Ja! Von Anfang an versuchte man in der Formel E Frauen zu unterstützen. Mit der Schweizerin Simona De Silvestro (4 Rennen), der Italienerin Michela Cerruti (4) und der Engländerin Katherine Legge (2) waren auch schon Frauen am Start. De Silvestro ist derzeit auch Ersatzpilotin im Team von Porsche. Susie Wolff, eine ehemalige Formel-1-Testpilotin, ist Teamchefin bei Venturi. Der Sieg von Edo Mortara in Hongkong 2019 war der erste in der Geschichte des hochklassigen Rennsports, bei dem eine Frau für das Siegerteam verantwortlich war.

 

Wo werden die Autos gebaut?

Spark Technology und Dallara (ein italienscher Chassis-Hersteller) bauen die Autos in Kooperation und stellen sie den Teams zur Verfügung. Diese Boliden werden noch einschließlich der Saison 2021/22 verwendet. Erst vor dieser letzten Saison wird es noch einmal ein Aerodynamik-Update geben, heuer sind die Autos de facto unverändert. Nach der Saison 2021/22 kommt dann die Generation 3, die abermals einen deutlichen Entwicklungsschritt erwarten lässt.

Was können die Teams beeinflussen und was ist vorgegeben?

Die Eigenentwicklung an E-Motor, Inverter, Getriebe, Hinterradaufhängung und Software ist eingeschriebenen Herstellern erlaubt. Zudem kann man für jedes Rennen eine entsprechende Abstimmung finden, die in erster Linie vom Layout der jeweiligen Strecke abhängt, dem Verlauf und der Anzahl von Kurven, Bremszonen und Geraden, aber auch von der Beschaffenheit des Asphalts.

Formel E

Boxengasse

Gerald Enzinger